Bericht Stuttgarter Zeitung 5.9.2007



Familie, freundlich, sucht – vergeblich

Der Plieninger Verein Akut Hilfe in Not will für die gelähmte Johanna und ihre Eltern eine behindertengerechte Wohnung finden

Degerloch. Die dreijährige Johanna leidet an einer Muskelerkrankung und kann sich nur im Rollstuhl bewegen. Ihre Eltern suchen seit einem Jahr eine behindertengerechte Wohnung – vergeblich. Der Plieninger Verein Akut Hilfe in Not will der sechsköpfigen Familie helfen.

Von Regine Warth
Johanna ist oft müde. Zwei Schritte kann das Mädchen mit seinem Gehwagen rollen. Dann bleibt sie stehen und sagt „muss Pause machen“. Manchmal, wenn sie spielt oder isst, kippt ihr Kopf nach hinten wie der einer Stoffpuppe. Dann beugt sich ihr Vater vor und richtet ihn behutsam wieder auf. „Schwierige Krankheit“, sagt Matthias Bauersachs, „schwierige Situation“.

Die Eltern sagen über Johanna: „Sie kann nicht gehen“ – weil es zu mühsam ist, die Krankheit ihre Tochter zu beschreiben, wenn man kein Neurologe ist. Seit das Mädchen ein Jahr alt ist, bilden sich ihre Nerven im Rückenmark zurück. Die Muskeln in ihren Beinen gehorchen ihr kaum noch, irgendwann wird Johanna auch Ihre Arme nicht mehr bewegen können. Etwa eines von 6000 Neugeborenen hat die Krankheit namens Spinale Muskelatrophie in sich – die im Volksmund Muskelschwund genannt wird. Die Krankheit ist nicht tödlich, aber in den ersten zehn Lebensjahren lebensbedrohlich. Denn jeder Infekt schwächt den zarten kraftlosen Körper.

Die Eltern sagen, „wir haben uns irgendwie arrangiert“. Inzwischen hat die Dreijährige einen Rollstuhl, Gehwagen, Kindersitz und ein Korsett im Wert eines Kleinwagens. „Das ist ja auch nicht das Problem“, sagt der Vater. Das zahle ja die Krankenkasse. Das Problem ist, dass die Familie wegen Johanna eine behindertengerechte Wohnung bräuchte. 90 Quadratmeter hat ihre jetzige Maisonette-Wohnung. Das klingt viel, ist aber für die Familie Bauersachs wenig: Das Ehepaar hat vier Kinder. „Johanna kann sich hier nicht vom Fleck bewegen“, sagt Claudia Bauersachs.

Seit einem Jahr stehen sie auf der Warteliste des städtischen Amts für Liegenschaften, die Familien mit behinderten Kindern zu einem besseren Wohnen verhelfen soll. Zweimal haben sie bisher ein Apartment angeboten bekommen. Doch in dem einen waren die Türen zu schmal für Johannas Rollstuhl, und für das andere verlangte der Besitzer eine Kaltmiete von 1600 Euro. „Für eine Familie, die neben einem behinderten Kind noch drei weitere versorgen muss, ist das keine Hilfe“ sagt Matthias Bauersachs. Inzwischen versuchen es die Eltern auf eigene Faust, schreiben Stiftungen an, haben sich sogar schon überlegt, eine Hausgemeinschaft mit Behinderten zu gründen. „Doch das alles kostet Zeit und Geld, was wir beides nicht haben“, sagt Matthias Bauersachs.


Schon ein paar Schritte im Rollwagen sind für Johanna eine Anstrengung. Irgendwann werden ihre Beine, später auch ihre Arme vollständig gelähmt sein.


„Natürlich können auch wir nicht aus dem nichts eine behindertengerechte Wohnung herzaubern“, sagt Manfred Wieland. Er ist Mitglied im Plieninger Verein Akut Hilfe in Not, dessen 15 Mitglieder es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen wie der Familie Bauersachs zu helfen. Nicht mit Unsummen von Geld, „so viel können wir von unserem Gehalt nicht abtreten“. Aber immerhin mit Spenden und organisatorischer Hilfe. „Vielleicht können wir durch Mund zu Mund Propaganda die Suche erleichtern.“

Die Bewegungslosigkeit der Tochter lähmt die Familie. Die Mutter hat ihren Beruf als Logopädin aufgegeben. Zu sehr beansprucht Johanna und deren Therapie ihre Zeit. Der Vater hat zum Ausgleich als Küchenmeister einer Schule einen Nebenjob in einem Catering-Service angenommen. „Das reicht gerade, um die Familie zu ernähren.“ Zu mehr aber nicht.

Sie sind auf die Hilfe anderer angewiesen. Das gibt Matthias Bauersachs nur ungern zu. „Wir wollen ja nichts geschenkt“. Aber es geht nun nicht mehr anders, seit er weiß, dass die Pflege seiner Tochter in den kommenden Jahren bis zu 70 000 Euro kosten wird. Dennoch wollen die Eltern „optimistisch und stark sein und kämpfen“.

Aber zu kämpfen ist schwer, wenn der Gegner sich nicht greifen lässt und so übermächtig erscheint wie Johannas Krankheit. Wie beispielsweise im Frühjahr. Da hat Johanna eine Lungenentzündung bekommen. Die dritte in diesem Jahr. Tagelang wachte die Familie am Bett der kleinen und über die Maschine, die für Johanna das Atmen übernahm, weil ihre Lungen es nicht konnten. „In solchen Momenten geht es um Leben und Tod“. In solchen Momenten scheint die Suche nach einer Wohnung unwichtig.

Info: Wer der Familie Bauersachs helfen oder dem Verein beitreten möchte, kann sich unter der Telefonnummer 6 33 78 96 beim Vorstand melden. Spenden an die Familie Bauersachs können auf das Konto „Sonnenschein“ der BW-Bank, Kontonummer 744 928 3340, mit der Bankleitzahl 600 501 01, überwiesen werden.